11. SONNTAG IM JAHRESKREIS

 

Evangelium nach Lukas (7,36-50)

 

Wie gehen wir mit Menschen um, die sich schuldig gemacht haben, nicht nach unseren Maßstäben leben, „unanständig“ sind? Grenzen wir sie aus? Reagieren wir wie der Pharisäer Simon im Evange-lium?

 

Wie geht man in der Öffentlichkeit, in unserer Gesellschaft, mit schuldig gewordenen Menschen um? Sehr oft gnadenlos, unbarmherzig hart. Man soll den Schuldigen „aus dem Verkehr ziehen“, „einsperren“ oder noch Schlimmeres antun. Man braucht nur ins Internet schauen, auf diese Hasstiraden, diese „Shit-Storms“, wie man es heutzutage sagt. Und all das oft im Namen der Gerechtigkeit. Es stellt sich immer wieder heraus: Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart, gnadenlos. Man ist nicht bereit, dem Schuldigen eine neue Chance zu geben. Man will ihn nur fertig machen, verurteilen und ausgrenzen.

Jesus geht einen anderen Weg. Er lässt diese schuldig gewordene Frau an sich heran. Sie schämt sich, aber ihr Reuegefühl ist so groß, dass sie es fertigbringt, in eine reine Männergesellschaft einzudringen und ihre Reuegefühle Jesus gegenüber auszudrücken. Sie wirft sich ihm zu Füßen. Jesus lässt sie gewähren. Er stößt sie nicht weg, er nimmt diese Frau ernst. Jesus hat keine Berührungsängste im Umgang mit dieser Frau. Er spürt ihre Not und ihre Reue und vergibt ihr die Schuld.

Wer sich wirklich schuldig fühlt, kommt sich selbst dreckig vor. Man kann sich selbst nicht mehr ausstehen, man fühlt sich wertlos, verwerflich. Wer kann schon damit leben? Wer schon einmal echte Vergebung geschenkt bekommen hat, weiß, welche Freude man da verspürt. Jesus schwingt nicht die moralische Keule. Er redet dieser Frau nicht ein schlechtes Gewissen ein. Er akzeptiert sie, gibt ihr ihr Selbstwertgefühl zurück: Du bist wertvoll. Du bist trotzdem von Gott geliebt. Die Frau spürt, als Mensch geachtet zu sein. Ihre Dankbarkeit ist überschwänglich.

 

Sie kann nur noch Tränen vergießen, wortlos, Tränen der Dankbarkeit. Ohne Worte aber überschwänglich drückt sie ihre Liebe und Dankbarkeit aus. Ihre Schuldgefühle müssen sehr groß gewesen sein, wenn sie so viel Liebe und Dankbarkeit zeigt!

 

Jesus schenkt dieser Frau seine Zuwendung und Vergebung. In Jesus begegnen wir dem vergebenden Gott. Gott reagiert anders und schaut anders auf einen schuldig gewordenen und reuigen Menschen, als wir es oft tun. Wir sind oft wie der Pharisäer Simon: wir schließen Menschen aus, urteilen sie ab, meiden sie und wollen sie lossein. Jesus zeigt hier, wie Gott unterscheidet zwischen dem konkreten Menschen und seinen Taten. Die Taten, die Lebensweise dieser Frau, heißt er nicht gut, aber er sieht auf das Herz dieses Menschen, das voller Reue ist, das hungert nach Liebe und Anerkennung. Jesus - Gott - verstößt diesen Menschen nicht. Er gibt ihm eine neue Chance. Deswegen ist diese Frau ihm so dankbar. Eine Dankbarkeit, die sie in die ganzen Zärtlichkeit hineinlegt, die sie Jesus entgegenbringt. Haben wir dieses Gefühl Gott gegenüber schon einmal ausgesprochen?

 

Es gibt da eine kleine Anekdote aus dem Leben des großen indischen Freiheitskämpfers, Mahatma Gandhi. Er erzählt aus seinem Leben: "Ich war fünfzehn Jahre, als ich einen Diebstahl beging. Weil ich Schulden hatte, stahl ich meinem Vater ein goldenes Armband, um die Schuld zu bezahlen. Aber ich konnte die Last meiner Schuld nicht ertragen. Als ich vor ihm stand, brachte ich vor Scham den Mund nicht auf. Ich schrieb also mein Bekenntnis nieder. Als ich ihm den Zettel überreichte, zitterte ich am ganzen Körper. Mein Vater las den Zettel, schloss die Augen, und dann - zerriss er ihn. ‘Es ist gut’, sagte er noch. Und dann nahm er mich in die Arme. Von da an hatte ich meinen Vater noch viel lieber."

 

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